< Winterpause
Winterpause
Vom 18. Dezember 2023 bis zum 7. Januar 2024 bleibt unser Büro unbesetzt. Ab dem 8. Januar sind wir wieder wie gewohnt für euch da.

| | Stories EJZ - NA DAN(N)

Bildhauerin Chenxi Zhong - Das Dorf und die Welt

Bildhauerin Chenxi Zhong - Das Dorf und die Welt

|       | Stories EJZ - NA DAN(N)

Über Heimat, Platz für Kunst und die Vision für ein historisches Sägewerk.

Ihre erste Nacht in Deutschland verbrachte Chenxi Zhong in einer Bushaltestelle in München. Das war 2016; Chenxi, damals 23, war gerade aus China zum Studium angereist, sprach nur wenig Deutsch und kannte niemanden in Deutschland. Irgendetwas war schiefgegangen in der Kommunikation mit der Vermieterin - die erwartete sie erst zwei Tage später. “Das war ein bisschen gruselig”, erinnert Chenxi. “Da stand ich dann mit meinen zwei Koffern auf der Straße”.

Inzwischen hat Chenxi ein Bachelor- und ein Masterstudium auf Deutsch absolviert, lebt im Wendland und hat, zusammen mit Ehemann Camillo Ritter, ein festes Dach über dem Kopf. Genauer gesagt, einen Vierseithof in Vasenthien.

ZUR PERSON
Name: Chenxi Zhong
Alter: 30
Berufsbezeichnung/Job: Künstlerin
Im Wendland (fest wohnend) seit 2021, seit Ende 2019 einen Hof in Vasenthien renovierend
Aufgewachsen in: China
Wohnhaft in: Vasenthien
Zur Schule gegangen in: China
Ausbildung/Studiengang: Chinesische Literatur, Multi-Media Design, Bildende Kunst, Bildhauerei
Wie lange heute Morgen zur Arbeit gebraucht? 3 Sekunden, das Atelier ist genau neben dem Schlafzimmer

Wie kamt ihr aufs und ins Wendland? Hat es euch beide gleich stark aufs Land gezogen?

Chenxi Zhong: Ich selber bin ein Stadtkind und hatte gar keine Vorstellung vom Landleben in Deutschland. Camillo ist eher das Landkind—er ist im Schaumburger Land aufgewachsen und hatte durch seine Eltern schon das Wendland kennengelernt. Irgendwo zwischen Hamburg und Berlin, da wollten wir hin ziehen. Wir sind ja beide Bildhauer und brauchen sehr viel Platz für unsere Arbeit. In der Stadt ist das extrem teuer. Das könnten wir uns gar nicht leisten. Von 2018 an haben wir dann öfters Tagesausflüge ins Wendland gemacht und 2019 dann den Hof in Vasenthien gefunden.

Wie hast du das Ankommen im Wendland erlebt, nachdem ihr den Hof gekauft habt?

Das war nicht ganz einfach! Die ersten zwei Jahre war der Hof eine Baustelle, da sind wir noch von Hamburg gependelt. Immer, wenn wir hier waren, haben wir in der Baustelle gewohnt—der Hof hat vier Gebäude; jedes Mal wenn eins renoviert wurde, wohnten wir in einem, das schon fertig war. Kurz nach dem Kauf kam Corona. Aber der Hof gab uns ein Ziel, eine Aufgabe, als während der Pandemie alles so traurig und depressiv war. Das hat uns, glaube ich, sehr gut getan, einfach etwas zu haben, auf das wir hinarbeiten konnten. 2021 sind wir dann ganz eingezogen.

Euer Ziel war ja auch der Traum von einer Galerie und Begegnungsstätte.

Genau, wir haben dort den Kunstraum Tangente gegründet. Der mathematische Begriff Tangente bedeutet eine Gerade, die einen Kreis an einem Punkt berührt, aber weit darüber hinausführt—so wie die Verbindungen von unserem Dorf in die Welt. Wir wünschen uns, dass unsere Tangente als Berührungspunkt dient, dass Künstlerinnen und Künstler aus der Welt in unser Dorf, ins Wendland kommen und dass dieser Kunstraum ein Ort des Austauschs sein kann.

Neben Ausstellungen habt ihr dieses Jahr auch ein internationales Art Camp veranstaltet. Fühlt ihr euch in die wendländische Kunstszene aufgenommen?

Ja, da waren wir positiv überrascht. Zum Beispiel der Westwendische Kunstverein. Dort sind viele Mitglieder inzwischen älter, und die freuen sich, wenn neue oder junge Künstlerinnen und Künstler dazukommen. Ich merke auch, wie stark hier das Bedürfnis nach Kunst ist, nicht nur in der älteren Generation.

Was macht das Wendland besonders für dich?

Ich liebe die Ruhe hier, auch wenn ich mir manchmal wünschte, es wäre mehr los! In meiner Arbeit beziehe ich mich oft auf Herkünfte, alte Objekte, handwerkliche Dinge. Ich habe zum Beispiel ein Stück mit Bienenwachs gemacht. Hier habe ich die Möglichkeit, direkt zum Imker zu gehen und mit dem zu sprechen.

Du hast dich als Stadtkind bezeichnet – in welcher Stadt bist du denn aufgewachsen? Und wie groß ist die?

Ich bin in Chengdu aufgewachsen. Dort leben knapp 21 Millionen Menschen.

Das ist ein Viertel der Bevölkerung von ganz Deutschland — also das volle Kontrastprogramm! Hattest du vorher schon mal auf dem Land gelebt?

Während meines ersten Studiums in China habe ich ein freiwilliges Jahr in Tibet gemacht. Da war ich Lehrerin für Kunst in einem Dorf in der Nähe von Lhasa. Das war ein sehr besonderes Erlebnis für mich, auch das ländliche Leben. Aber das war natürlich ganz anders als das Wendland.        

Das glaube ich gern. Danach warst du wieder in Chengdu, dann München, Hamburg — und gleichzeitig mit dem Masterstudium in Hamburg hast Du es irgendwie geschafft, auch noch einen Master in New York zu machen.

Ja, das war ein Austauschprogramm. Da konnte man gleichzeitig Auflagen an beiden Unis erfüllen.

Du bist in deinem Leben schon viel herumgekommen. Was bedeutet für dich Heimat oder Zuhause?

Mit dem Thema “Zuhause, Heimat, Zugehörigkeit” beschäftige ich mich sehr viel, auch in meiner Kunst. Das hat viel damit zu tun, wie man sich definiert — die Gewohnheiten, die Eltern. Früher habe ich immer gedacht, da, wo ich bin, ist meine Heimat. Jetzt ist das nicht mehr so klar. Zur Zeit habe ich eine Ausstellung in Hamburg. Dafür habe ich eine Mosaik-Arbeit gemacht. Das sieht ein bisschen aus wie gepixelt und je nachdem, ob man näher dran ist oder weiter weg, ergeben sich gewisse Muster oder man erkennt gar nichts. So ähnlich geht es mir mit dem Thema Heimat — wenn man zu nahe drauf guckt, wird einem schwindelig. Manchmal braucht man ja auch eine gewisse Distanz, um etwas zu betrachten. So geht es mir manchmal, wenn ich über meine Heimat in China nachdenke.

Aber die Verbindungen durch die Kunst hier, und hier mit Camillo gemeinsam eine Zukunft aufzubauen, das ist etwas sehr schönes.

Ihr habt euch ein weiteres ambitioniertes Großprojekt im Wendland vorgenommen. Was hat es mit „Herbsthausen“ auf sich?

Herbsthausen ist der Spitzname eines historischen Sägewerks in Gartow. Hier haben einmal über 200 Menschen gearbeitet und einige auch gewohnt. Camillos Eltern haben das 2,5 Hektar große Gelände im vergangenen Jahr von der Samtgemeinde Gartow abgekauft. Die etlichen Gebäude und Hallen auf dem Gelände sind unglaublich charmant, aber auch sehr stark sanierungsbedürftig. Unser Ziel ist es, in den nächsten Jahren hier ein Kultur- und Kunstzentrum zu errichten. Auch unser Ausstellungsraum in Vasenthien wird hier sein neues Zuhause finden. Und vieles mehr. So planen wir Wohn- und Arbeitsräume für bis zu 10 Parteien, eine „Kunstakademie“ mit gemeinschaftlich genutzten Werkstätten und Seminarräumen für Bildungsgruppen, Gästewohnungen besonders auch für Artist in Residency’s, ein Restaurant und natürlich das historische Industriedenkmal selbst. Die Gatterhalle und die alte Dampfmaschine sind wirklich umwerfend und ein wichtiges kulturelles Erbe für die Region. Hier entsteht ein Museum über das Sägewerk, altes Handwerk und die regionale Geschichte. Wir bauen schon fleißig. Aber ein paar Jahre dauert es schon noch.

Wir haben uns schon fast verabschiedet, da erzählt Chenxi, dass sie vor zwei Jahren einen Szechuan-Pfefferbaum gepflanzt und sie vorhin Pfefferkörner davon geerntet hat. Wieder ein Berührungspunkt: Das kleine Dorf im Wendland, verbunden durch eine imaginäre Tangente mit einer fernen Heimat in China.

---

Das Interview führte Kerstin Lange im August 2023 für Wendlandleben.

Mehr über Chenxi Zhong auf chenxizhong.com/

 

Unternehmensportraits