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Jörg Fischer – "Erstaunt über diese Ecke von Deutschland"

Jörg Fischer – "Erstaunt über diese Ecke von Deutschland"

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Über heißen Kaffee für helfende Hände, kaltes Wasser im Naturbad und wie ehrenamtliches Engagement beim Ankommen auf dem Land hilft.

Wenn Vielseitigkeit eine Vorbedingung für den Zuzug ins Wendland ist, dann ist Jörg Fischer der Zugezogene schlechthin. Zum Glück – für das Wendland und für Jörg – ist ein konventioneller Lebenslauf keine Voraussetzung. Seit der achten Klasse ist er sein eigener Lehrer: “Ich hab nichts gelernt, außer das Lernen zu lernen,” sagt er. Und gelernt hat er allerhand. Fotografie zum Beispiel. Fotobücher, Reiseführer, Pressefotos, Fotodokumentationen – die Liste seiner Aufträge und Auftraggeber ist lang. Ein Auftrag – “Lüneburger Heide mit ‘nem bisschen Wendland dabei” – führte ihn zum ersten Mal in das Land zwischen Elbe und Drawehn.

ZUR PERSON
Name: Jörg Axel Fischer
Alter: 68
Job: Fotograf, Galerist, Küster, Fotoagenturgründer, Geschäftsführer, Kümmerer, Autoschrauber, Zuhörer, Künstler, Layouter, Berater, Jörg das Schwimmbad
Firma:Waldbad Wittfeitzen, Kirche Groß Wittfeitzen, MenschenSindWir.de
Im Wendland seit: gefühlt 100 Jahren
Aufgewachsen in: Berlin-Neukölln
Wohnhaft in: Groß Wittfeitzen auf einem Resthof
Zur Schule gegangen in: Berlin
Ausbildung/Studiengang: Autodidakt
Wie lange heute Morgen zur Arbeit gebraucht? Zu Fuß 7 Minuten, mit dem E-Roller 3

Wir haben vor unserem Treffen telefoniert und waren recht schnell beim "du" - wie es so oft im Wendland passiert. Jetzt sitzen wir auf einer niedrigen Steinmauer, ein paar Meter vom Schwimmbadbecken, dessen Wasser die Grüntöne des Kiefernwaldes ringsum widerspiegelt. Irgendwo über uns erklingt der heisere Ruf eines Rotmilans.

Hallo Jörg. Wie lange lebst du denn schon im Wendland?

Jörg Fischer: Fest wohnen wir hier seit ungefähr sechs Jahren. Das mit dem Fotoauftrag war vor etwas über dreißig Jahren. Und da war ich erstaunt über diese Ecke von Deutschland. Es gibt einen Film von Wim Wenders, einen Schwarz-Weiß-Film, der beginnt im Wendland. Das war für mich der erste Kontakt, der erste Eindruck – Schwarz-Weiß im positiven Sinne, nicht bunt und grell, sondern zurückhaltend. Wenig Menschen, viel Natur. Und die Menschen sind der Natur zugewandt. Ein reiches Kulturleben – mehr als man erwartet auf dem platten Land. Seitdem sind wir als Familie immer wieder hergekommen, haben hier die Ferien verbracht. Und hatten schon damals immer das Gefühl, hier würden wir irgendwann gerne mal wohnen. Das hat dann noch mal 25 Jahre gedauert. Wir wohnten damals in Hannover, da hatten die Kinder einen kurzen Schulweg und das war auch ein besserer Standort für die Fotografie.

Wie kam es dann dazu, dass ihr ganz hergezogen seid?

2015 wurde ich in den Vorstand hier beim Waldbad Wittfeitzen gewählt. Dann kam irgendwie alles zusammen: Der Job meiner Frau in Hannover löste sich auf, der Hund ist gestorben, wir fanden ein Haus – nachdem wir uns 28 Häuser angeguckt hatten. Nachher passte dann irgendwie alles total.

Zum ersten Naturbad des Wendlands und zum Verein hattest du also schon vorher eine starke Verbindung?

Ja, ein paar Jahre davor waren wir zur KLP in Mützingen, nicht weit von hier. Da erzählte uns jemand von dem Bad und wir wollten hier schwimmen. Es war damals noch kein Naturbad, hatte gar nicht geöffnet und der, der zufällig da war, wollte uns wieder wegschicken. Dann hat er uns aber doch reingelassen. Das hat uns sehr gefreut! Und das Bad fanden wir auch einfach toll. So hat’s angefangen.

Und jetzt bist du Vorstandsvorsitzender. Was beinhaltet denn diese Rolle? Fördermittel eintreiben?

Das auch. Aber die Hauptsache ist eigentlich, hartnäckig dranzubleiben. Zu der Zeit, als ich dazu kam, war die Frage: Kann das Bad überhaupt erhalten bleiben? Es sah damals so aus, als ob das geschlossen wird. Die Investitionen, das so zu erhalten, wären einfach zu hoch gewesen – egal ob als Chlorbad oder als Naturbad mit reiner biologischer Reinigung. Den Gedanken an einen Umbau zum Naturbad, den gab’s schon vorher. Aber sowas ist einfach unheimlich teuer – da ist man mit 3-4 Millionen dabei.

Oha. Aber irgendwie habt ihr das geschafft.

Wir hatten das Glück, an einen Architekten zu kommen, der viele gute Ideen hatte, wie man bei so was Geld sparen kann. Und die Gemeinde hat uns sehr, sehr unterstützt. Wir haben dann dieses Schwimmbad, wie du es jetzt siehst, größtenteils in ehrenamtlicher Tätigkeit gebaut. Da sind weit über 5.000 Stunden zusammengekommen.

Er blickt über das im Abendlicht glitzernde Wasser auf die Wiese und den Waldrand und sinniert.

Das war eben auch mein Job: darauf zu achten, dass sich jeder in eine Liste eintrug, aus versicherungstechnischen Gründen, dass verkehrstechnisch alles in Ordnung ist, dass ordentlich Buch geführt wird. Also zu gucken, dass alles irgendwie funktionierte. Und auch, dass alle sich wohlfühlten. Dazu gehörte auch viel Kaffeekochen – alle, die hier zum Helfen herkamen, kriegten Kaffee, auch wenn sie nur für 'ne Stunde hier waren. Und das haben die Leute auch wertgeschätzt.

Das war also bei den 3-4 Millionen mit drin?

Haha, ja, das war mit drin – aber so viel hat’s ja nicht gekostet! Wir haben den Umbau letztendlich für um die 180.000 geschafft - dank all der ehrenamtlichen Hilfe. Und dank des Vereins. Hätte es den Verein nicht gegeben, hätten wir das alles nicht machen können. Den gibt es ja schon seit über 20 Jahren. Und in meiner persönlichen Rückschau wird mir immer bewusster: Ohne Vergangenheit gibt’s keine Gegenwart, und ohne Gegenwart keine Zukunft. Und da bin ich den Leuten, die den Verein damals gegründet und das Bad aufrechterhalten haben, total dankbar.

Während unseres Gesprächs sind vereinzelt mehrere abendliche Badegäste auf dem Weg zum Schwimmbecken an uns vorbeigegangen. Mit jedem und jeder wechselt Jörg ein paar freundliche Sätze, spricht sie mit Namen an. Dass die Leute sich wohlfühlen und dass Jörg viel damit zu tun hat, ist offensichtlich. Überhaupt stelle ich fest, dass Worte wie “dankbar” und “Freude” überdurchschnittlich oft vorkommen in diesem Gespräch.

Kennst du alle, die hier herkommen?

Fast. Das hier heute abend sind alles Mitglieder. Die eigentliche Saison ist ja schon vorbei. Aber die Mitglieder können immer rein. Davon gibt es ungefähr 300, aber mit den Familien sind das wohl eher um die 1.000. In unserem Dorf hier, in Groß-Wittfeitzen, leben 48. Die Leute kommen also auch von weiter her.

Kommst du eigentlich noch zum Fotografieren?

Da ist nicht mehr viel drin. Ich mache ja auch noch viele andere Sachen hier, auch Aufgaben, die eigentlich keiner so gern machen möchte. Zum Beispiel den Biofilm abfräsen, der sich regelmäßig auf dem Schwimmbadboden absetzt. Da steht man dann 3-4 Stunden im kalten Wasser.

Und das gehört zu deiner Rolle als Vorstandsvorsitzenden? Das ist hoffentlich ein gut bezahlter Job?!

Haha, immerhin hat der Vorstand vor einigen Jahren beschlossen, dass ich für diese anderen Aufgaben bezahlt werden soll. Zuerst war das eher symbolisch. Es ist auch jetzt nicht zum Reichwerden - und das will ich auch gar nicht. Aber immerhin kommen da im Jahr außer der Vorstandsarbeit, die natürlich ehrenamtlich ist, 1.440 Stunden zusammen. Und da kann ich eben nichts anderes machen. Aber das hat mich hier – im positiven Sinne – gefangen genommen. Böse Zungen sagen, das ist hier mein Zuhause – und das ist auch so.

Woher kommt das, dass du dich so einbringst?

Meine Kinder waren immer in vereinsgeführten Schulen und Kindergärten. Und da haben ganz viele, ganz tolle Leute sehr viel für meine Kinder getan. Und ich konnte mich ganz oft nicht beteiligen, musste aufgrund meiner Arbeitssituation ganz oft ablehnen. Hier hat sich dann die Gelegenheit ergeben, dass ich auch endlich mal was tun konnte. Und die Kinder dabei aufwachsen zu sehen, und wie die sich total freuen. Und die Eltern freuen sich total, dass es das Schwimmbad gibt.

Es hört sich an, als seist du hier wirklich gut “angekommen”. Ihr hattet ja vorher in Hannover gelebt. Bist du jetzt eher ein Landmensch?

Ich bin ja in Berlin-Neukölln aufgewachsen und manchmal vermisse ich das Stadtleben auch. Aber wenn ich hier so von der Bundesstraße zum Wald rüberblicke, dann denk ich, was für tolle Leute ich doch kenne in diesem Wald. Das sind sehr vertrauensvolle Beziehungen und das ist ein irres Gefühl! Vielleicht muss man mit den wenigen Leuten hier vorsichtiger umgehen als mit den vielen in der Stadt. Aber so was gibt es natürlich auch in der Stadt. In Hannover-Linden kannte ich auch fast jeden. Beim Umzug haben wir dort beim Einladen genauso viel Hilfe bekommen wie hier beim Ausladen.

2018 kam noch mal einen Anfrage von einem früheren Auftraggeber in Hannover. Da war mir klar, ich kann jetzt hier nicht die Leute mit dem Schwimmbad-Projekt alleinlassen. Unser Lebensmittelpunkt ist jetzt hier, mit dem Bad, der Kirche, den Freunden, die wir hier gefunden haben. Das hat mich unheimlich gefreut.

Erzähl doch mal mehr zur Kirche. 

Ich bin auch im Kirchenvorstand hier – das war ich auch schon in Linden. Und da gibt es natürlich auch Querverbindungen, bei den wenigen Leuten hier. Die Claudia, die hier vorhin zum Schwimmen war, die ist auch im Kirchenvorstand.

Er schaut aufs Wasser und überlegt.

Früher hab ich mir das Leben immer als Kreis vorgestellt. Und alles was da drin ist, ist das Gute und Schöne – das hat hier geklappt.

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Das Gespräch führte Kerstin Lange im September 2023 für Wendlandleben.

Mehr Infos zum Waldbad Wittfeitzen unter waldbad-wittfeitzen.de

 

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