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Sarah Kreiseler – Kulturmensch braucht Kulturlandschaft

Sarah Kreiseler – Kulturmensch braucht Kulturlandschaft

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Naturnahe Entschleunigung, alternative Wohnformen und der Mut Arbeits- und Lebensmittelpunkt auf’s Land zu verlegen: Aus dem turbulenten Berlin kam sie zum Freiraumfühlen ins Wendland. Seit 2022 leitet Sarah Kreiseler das Rundlingsmuseum Wendland in Lübeln, um aus der Geschichte des bäuerlichen Lebens ein neues Nachhaltigkeitsbewusstsein zu schaffen.

ZUR PERSON
Name: Sarah Kreiseler
Alter: 34
Berufsbezeichnung/Job: Kulturwissenschaftlerin, Leiterin Rundlingsmuseum Wendland
Firma: Landkreis Lüchow-Dannenberg
Im Wendland seit: Sommer 2022
Aufgewachsen in: Berlin
Wohnhaft in: Hitzacker
Zur Schule gegangen in: Berlin
Ausbildung/Studiengang: Kommunikationsdesign (BA), Europäische Medienwissenschaft (MA), „Promovieren im Museum - PriMus“ an der Leuphana Universität Lüneburg (PhD)
Wie lange heute Morgen zur Arbeit gebraucht? 40 Minuten

Hallo Sarah, willkommen im Wendland! Worauf freust du dich?
Sarah Kreiseler: Auf das „Hier ankommen“. Auf Spaziergänge im Wald, Pilze, Blätter und mehr zu sammeln, Fahrradtouren, Kanutouren und mehr Zeit für die Familie. Darauf die Jahreszeiten noch bewusster zu erleben und zu zelebrieren, Lagerfeuer und Spieleabende zu machen und auf die Entwicklung neuer Ausstellungsformate im Museum.

Du bist die neue Leiterin des Rundlingsmuseums. Was hat ein Rundling, das der Hauptstadt fehlt?
Ein Rundling hat die freie Dorfmitte, die viel Freiraum zum Treffen, Klönen, Schnacken, Spielen und vielem mehr bieten kann und meines Erachtens unbedingt als solcher genutzt werden sollte - als „Kitt“ für die Gemeinschaft. Im Gegensatz zu Berlin entschleunigt ein Rundling, da er - und das finde ich so großartig - immer jenseits der Durchfahrtsstraßen liegt. Daher bietet er per se mehr Ruhe als fast jeder Ort in der Großstadt.

Was hat dein Wesen mit dem des Museums gemein?
Es ist ein friedlicher Ort mit einer kraftgebenden Ausstrahlung, dessen Potenzial noch ausgedehnt werden kann.

Bist du Stadt- oder Landkind?
Mittelding. Aufgewachsen bin ich am Rand der Großstadt Berlin. Aber nicht in einer Reihenhaussiedlung oder im „Speckgürtel“, sondern in einem intellektuell-künstlerisch geprägten Kleinstadtensemble im Bezirk Köpenick, Stadtteil Friedrichshagen. Dort bin ich behütet, freigeistig, intellektuell in den politischen, soziokulturellen und familiären Umbrüchen der Nachwendezeit aufgewachsen und zur Grundschule gegangen. Ab Klasse 7 (in Berlin beginnt erst ab dieser Klasse die Sekundarstufe) bin ich nach Kreuzberg in die Freie Waldorfschule gependelt. Ab da war ich dann auch viel in der gesamten Stadt unterwegs.

Wie bist du ausgerechnet im Wendland gelandet?
Wir haben eine Alternative zu der Vereinzelung mit Kindern in städtischen Wohnungen gesucht. Mit dem Wunsch nach mehr Freiraum, nachbarschaftlicher Solidarität und alternativen Wohnformen begann mein Mann nach Wohnprojekten zu suchen und wurde auf Hitzacker Dorf aufmerksam. Die räumliche Nähe der Waldorfschule, das Wohnprojekt als Genossenschaft, das ökologische Bauen und andere Visionen der Gemeinschaft sprachen uns sehr an. Wir suchten über ein Jahr intensiv den Kontakt und sind letztendlich hier gelandet bzw. landen immer noch.

Ist es ein Trend aufs Land zu ziehen?
Das kann ich nur bedingt beantworten. Aus meinem Berliner Umkreis merke ich, dass sich viele mehr Landleben wünschen, aber dann doch eher eine Wochenendlösung wählen. Ihren Lebens- und Arbeitsmittelpunkt dorthin verlagern die wenigsten.

Was gefällt dir am Wendland?
Die Leere, der Himmel mit den Wolkenformationen, die Elbe mit ihren Zugvögeln, die Nähe zu den essenziellen Nahrungsmitteln (Gemüse- und Obstanbau) und dass es eine breite alternative Kulturszene gibt, die sich toll zum Vernetzen für ein Museum anbietet.

Was hat dich an deinem neuen Job besonders gereizt?
Ein Museum prägen zu können und Basisarbeit zu betreiben. Ich will das Bewusstsein für alte Handwerkstätigkeiten heben, damit es nicht gänzlich verloren geht. Im Rundlingsmuseum können wir Alternativen aufzeigen zum Konsum, zum Selber-Herstellen anregen und so aus der Geschichte des bäuerlichen Lebens heraus das Nachhaltigkeitsbewusstsein erhöhen. Auch kann ich aktuelle Forschungsthemen wie beispielsweise Provenienzforschung oder koloniales Erbe in dieses kleine Museum bringen. Damit sind wir nah am Puls der Zeit.

Du planst ein reichhaltiges Kursangebot. Welche Kurse willst du selbst besuchen?
Eigentlich alle. Als erstes würde ich eine Kräutermanufaktur besuchen, da es ein kurzweiliges Angebot ist. Mit mehr Zeit würde ich ein Wendlandhemd nähen, Seife sieden und irgendwann ein kleines Messer schmieden.

Was willst du noch konkret verändern und warum?
Ich will mehr Angebote für Kinder und Jugendliche schaffen. Das Museum soll ein Ort des Kultur- aber auch Naturerlebens sein – ein Gegenpunkt zu Schule und Klassenzimmer. Ich werde den Gebäuden im Museum Rollen zuweisen, sodass ein Gesamterlebnis gefördert wird, das verschiedene Ebenen der Erkenntnis und Wahrnehmung anspricht. Zum Beispiel das Heimathaus als Nachbildung des bäuerlichen Lebens ohne viel Vermittlung. Die Rundlingsausstellung ist dagegen abstrakter, wissenschaftlicher aufgebaut. Aber auch hier fehlt noch eine Ausstellung, die sich an jüngeres Publikum richtet - also vor allem an Schüler*innen. Da es ja auch das Heimatmuseum des Landkreises ist, sollte ein Schulbesuch obligatorisch sein.

Was ist Heimat für dich?
Heimat ist das Vertraute. Wege, Räume, Ecken, die ich inhaliert habe in unzähligen Gängen, Spaziergängen, Ausflügen, schweifenden Blicken. Und eine andere Heimat ist dort, wo meine Familie ist.

Was fehlt dir hier?
Internationales Street Food, etwas Leckeres zu Essen zwischendurch und andere Eltern spontan am Nachmittag zu treffen. Die Kindererziehung und die Nachmittage sind sehr vereinzelt und finden oft im Privaten statt. Das finde ich sehr schwierig für Eltern, weil sie auf sich allein gestellt sind. Und für Kinder, wenn sie keine Geschwister als Spielpartner*innen haben. Konkret vermisse ich auch die ruhige Konzentration, die in der Staatsbibliothek zu Berlin herrscht, in der ich in den letzten Jahren meine Dissertation geschrieben habe.

Echt? Die Ruhe in der Großstadt? Was sind noch Herausforderungen?
Ich bin noch mitten am Ankommen. Eine Hürde dabei ist für mich, ein Netzwerk an (Fach-)Ärzt*innen aufzubauen und dabei sehr weite Fahrtwege auf mich zu nehmen bzw. gar nicht erst aufgenommen zu werden. Der Mangel an Fachärzt*innen auf dem Land scheint das Wendland im Besonderen zu treffen, da es so dünn besiedelt ist.
Generell bist du auf ein Auto angewiesen. Als Familie bräuchtest du eigentlich zwei. Das wollen wir aber nicht. Das führt dazu, dass eine*r in der Bewegung relativ stark eingeschränkt ist – z.B. wenn es darum geht, Freunde zu besuchen oder das Schulkind von Schulfreund*innen abzuholen. 

Was findest du hier bemerkenswert?
Freundlichkeit. Bekannte Gesichter überall zu sehen, gefällt mir gut. Das Wendland habe ich mir auch ausgesucht, da ich als Kulturmensch auch eine Kulturlandschaft brauche, um mich wohl zu fühlen. Das Vorurteil, dass auf dem Land nichts los ist, trifft ja auf das Wendland in keinster Weise zu!

Was rätst du deinen Freund*innen in der Stadt?
Kommt uns besuchen!

Danke für das Gespräch, Sarah.

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