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Winterpause
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Ramtin Zanjani - "Keine Investition, sondern unser Zuhause"

Ramtin Zanjani - "Keine Investition, sondern unser Zuhause"

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Über Produktfotografie, einen ehemaligen Lokschuppen und die neue Welle der Kunst im Wendland: Ramtin Zanjani liebt Teheran, London und Berlin. Jetzt vermisst er das Wendland, wenn er woanders ist...

ZUR PERSON
Name: Ramtin Zanjani
Alter: 44
Berufsbezeichnung/Job: Fotograf, Künstlerischer Leiter
Firma: Pamono & schuppen.studio
Im Wendland seit: 2021
Aufgewachsen in: Teheran
Wohnhaft in: Hitzacker & Kreuzberg
Zur Schule gegangen in: Teheran
Ausbildung/Studiengang: Bildende Kunst & Angewandte Kunst, Pune University (Indien)

Kurz vor dem rot markierten Zielpunkt hört die blaue Linie auf dem Handy-Bildschirm auf. Ein Schuppen ist nirgendwo zu sehen, auch kein Bahnhof oder etwas, das nach Foto-Studio aussieht. Links habe ich gerade Hitzacker-Dorf passiert; rechts geht ein schmaler Schotterweg von der Straße ab. Ich biege ein; immerhin führt er in die richtige Richtung. Nach ein paar hundert Metern verliert sich der Weg. Dichtes Grün – liegt Ramtins Schuppen etwa im Wald? Dann erspähe ich eine schmale Lücke zwischen den Bäumen; ein paar Holzstufen führen eine sanfte Böschung hinab auf eine Lichtung. Mein Blick fällt auf eine geräumige Veranda, die aus einem länglichen Backsteingebäude herauszuwachsen scheint. Der Schuppen! Ein Mann mit freigeistig anmutenden schwarzgrau-melierten Locken kommt um die Ecke und winkt. Hinter ihm die Auffahrt, die mich direkt zum Schuppen geführt hätte. Navigationssysteme wissen nicht alles!

Ramtin öffnet die schwere Tür, dann stehen wir in einem sehr großen, sehr weißen Raum; über uns erstreckt sich ein kirchenraumartiges Dachgebälk. Licht flutet durch große, oben abgerundete Fenster herein, fällt auf Leinwände, Stative, Scheinwerfer. Durch die Fenster sehe ich nun auch den Bahnhof von Hitzacker und die Gleise der Wendlandbahn, die vorerst noch still die Rückkehr der Züge erwarten.

Wir setzen uns an einen kleinen runden Tisch. Ramtin hat Tee vorbereitet und schenkt ein.

Wie habt ihr denn das hier gefunden?

Ramtin Zanjani: Das war Glück. Es war nirgendwo gelistet, wir haben herumgefragt und irgendwann bekamen wir die Kontaktinfo durch Nachbarn, als der Vorbesitzer sich entschied, es aufzugeben.

Und wie sah es hier aus, als ihr es zuerst gesehen habt?

Das war nur ein leerer Schuppen, mit Graffiti an den Wänden. Den haben wir dann renoviert, als Studio ausgebaut, und das Haus drangebaut.

Ihr müsst gute handwerkliche Kenntnisse haben.

Haha, nee, aber YouTube-Videos!  Man muss lernen – oder 50 Euro die Stunde für Handwerker bezahlen… Die brauchten wir natürlich auch; Zimmerleute für die Holzkonstruktion und so. Aber die dreckigen Sachen haben wir alle selbergemacht.

Und alles während der Pandemie? Ihr kamt aus Berlin hierher?

Genau, wir sind ins Wendland gekommen, als es mit Corona losging. Meine Schwiegermutter wohnt schon lange hier; wir konnten zuerst bei ihr wohnen.

Und dann habt ihr entschieden, hierzubleiben?

Nein, das war keine Entscheidung, das ist einfach passiert! Wir hatten zwar schon seit Jahren darüber gesprochen, irgendwann aufs Land zu ziehen. Ich dachte immer, ich brauche die Stadt. Ich bin in Teheran aufgewachsen und habe in London und Berlin gelebt – ich liebe das Chaos und die Energie dieser Städte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass wir das so schnell machen.

War es immer klar für euch, dass “Aufs Land ziehen” für euch dann das Wendland bedeutet?

Ja. Das ist schon besonders hier – die Landschaft, die Leute, die ganze Geschichte mit Gorleben. Rike, meine Frau, ist hier aufgewachsen und wollte schon lange zurück. Wegen Corona waren wir immer seltener in Berlin. Dann fanden wir diesen Schuppen. Jetzt vermisse ich das Wendland, wenn ich woanders bin. Freunde aus der Stadt sagen manchmal, das sei hier eine gute Investition – nein, das ist unser Zuhause!

Wie habt ihr es mit der Arbeit gehandhabt zu Anfang?

Rike ist Hebamme, sie kann überall arbeiten. Ich habe zuerst viel im Co-Working Space hier in Hitzacker gearbeitet. Ich hatte dort einen Schreibtisch und konnte viel meiner Arbeit von da aus machen. Das war wirklich fantastisch; manchmal vermisse ich es immer noch!

Und eure Kinder konnten hier nahtlos zur Schule gehen?

Ja, mein Sohn ist hier eingeschult worden. Meine Tochter kam hier in die 5. Klasse. Sie gehen beide in die Freie Schule in Hitzacker. Da können sie zu Fuß hin.

Du arbeitest als selbstständiger Fotograf, wie hier in deinem Studio, aber auch bei einer Zeitschrift.

Das ist das Innenarchitektur-Magazin Pamono mit Sitz in Berlin. Ich bin der Künstlerische Leiter und Chefredakteur für Fotografie. Dort bin ich immer zehn Tage im Monat.

Dann hast du ja das Beste von zwei Welten! Was machst du hier für Fotografie?

Mein Schwerpunkt ist Stillleben. Beruflich mache ich Produktfotografie; künstlerisch mache ich bildende Kunst.

Bisher habe ich mir wenig Gedanken über Produktfotografie gemacht. Mir fallen Möbelhaus- und Land’s End-Kataloge ein. Ich blicke um mich und suche nach Beispielen von Ramtins Arbeiten, aber die weißen Wände geben nichts her: Wir befinden uns schließlich in einem Fotostudio, nicht in einem Ausstellungsraum. Die Beispiele sind in Ramtins Computer. Er führt mich in sein Büro gleich am Eingang des Studios, weckt den Rechner aus dem Schlafmodus auf und klickt sich durch eine Reihe von Miniatur-Bildern. Fotos von kunstvoll inszenierten Stoffen, Teppichen, Küchenschränken füllen nacheinander den Bildschirm; dann einige von ästhetisch anmutenden Bierflaschen.

Ich wusste nicht, dass Produktfotografie so künstlerisch sein kann.

Ja, das ist meine Leidenschaft. Ich liebe Produkte und ich liebe Fotografie!

Wie bist du zur Fotografie gekommen? Kommst du aus einer künstlerischen Familie?

Nicht direkt künstlerisch, aber ich bin mit viel Design-Hintergrund aufgewachsen. Meine Eltern sind Architekten. Ich war 19, als ich mir eine Kamera geliehen und zum ersten Mal ein Foto gemacht habe. Da wusste ich sofort: das will ich machen, das ist die einzige Sache in meinem Leben! Und das war natürlich vor der Digitalfotografie. Ich konnte also in dem Moment gar nicht das Foto sehen!

Jetzt öffnet sich eine Verbindungstür vom Wohnhaus; eine Frau in elegant-legerer Rock-und Pullover Kombi tritt ein. Es ist Rike, die gerade von einer 24-Stunden-Schicht nach Hause kommt. Sie sieht erstaunlich wach aus.

Du arbeitest in einem Hebammen-Kollektiv. Wie funktioniert das?

Rike Zanjani: Wir sind ein Team von 9 freiberuflichen Hebammen, die sich zusammengetan haben und rund um die Uhr den Kreißsaal in der Klinik Dannenberg betreuen. Da ist dann immer eine Hebamme für jede gebärende Frau da. Für die Vor-und Nachsorge fahren wir zu den Frauen nach Hause.

Das Wendland scheint in bezug auf Geburtshilfe gut aufgestellt zu sein. Das war nicht immer so.

Nein, vor einigen Jahren waren hier so wenige Hebammen, dass der Kreißsaal fast vor dem Aus stand. Da haben wir zusammen mit Sigrun Kreuser von der Agentur Wendlandleben eine Kampagne gestartet. Die war so erfolgreich, dass tatsächlich mehrere Hebammen aus anderen Regionen herkamen und wir einmal sogar einer Bewerberin absagen mussten.

Mehr über Rikes Arbeit und die Hebammen-Gemeinschaft ist im Podcast WENDLANDREDEN zu hören.

Ihr seid hier ziemlich zentral versteckt in Hitzacker. Wie würdet ihr die Nachbarschaft beschreiben?

Rike: Gleich gegenüber ist der Kulturbahnhof: das ist eine Genossenschaft von Künstlern, mit Tanz, Theater, einer Musikschule. Dann ist da Hitzacker Dorf und hier in der direkten Umgebung sind eher alteingesessene Hitzackeraner. Das ist eine tolle Mischung – wir haben die besten Nachbarn, die man sich vorstellen kann. Die kommen auch alle, wenn wir hier mal Veranstaltungen machen.

Ramtin: Ja, wir haben mal eine Weinverkostung gemacht und alle möglichen Leute eingeladen. Da waren dann Künstler und Bauern, Aktivisten, der Mann von der Tankstelle, Leute aus vielen verschiedenen Kreisen. Und die kamen alle wunderbar miteinander klar. Das hat Spaß gemacht!

Wie würdest du die Kunstszene hier beschreiben?

Ramtin: Die ist total anders als in der Stadt. Es gibt viele gute Künstler*innen hier, auch viele neue seit der Pandemie. Da kamen viele Leute mit Kunst- und Kultur- und Medienhintergrund – eine Art neue Welle. Es gibt auch gute Galerien hier, z.B. der Kunstraum Tosterglope und die Kunstkammer Gartow, die zum Westwendischen Kulturverein gehört. Da bin ich jetzt im Beirat.

Beim Herausgehen fallen mir wieder die Produkte ein, besonders die größeren.

Die Küchenmöbel und die Teppiche und all das – das muss alles hergebracht werden. Die Kund*innen scheinen dich zu finden – hoffentlich auch die richtige Auffahrt!

Ja, die finden mich – es gibt hier ja sonst keine Studios! Die anderen sind alle in Hamburg oder Berlin. Hier im Wendland gibt es so viele gute Künstler*innen, so viele gute Fotograf*innen, aber keine großen professionellen Fotostudios.

Das ist bestimmt auch einfach passiert, dass es nun eins gibt.

Ja, ich glaube wir Menschen entscheiden gar nicht so viel, wie wir oft glauben. Das Leben passiert!

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Das Interview führte Kerstin Lange im Oktober 2023 für Wendlandleben.

Mehr Produktfotos in Ramtins schuppen.studio (z.B. von regionalen Unternehmen wie Michelle Mohr) seht ihr hier auf Instagram.

Unternehmensportraits