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Almuth Schult – „Dafür liebe ich das Wendland.“

Almuth Schult – „Dafür liebe ich das Wendland.“

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Nationaltorhüterin Almuth Schult (27) vom VFL Wolfsburg hat uns zum Neuen Jahr Rede und Antwort gestanden. Ein Gespräch über ihre Karriere, über Kindheit, die Zukunft – und was das Wendland für sie so besonders macht.

ZUR PERSON
Name:
Almuth Schult
Alter:  27
Berufsbezeichnung/Job: Fußballerin
Firma: VFL Wolfsburg-Fußball GmbH
Aufgewachsen in: Lomitz
Wohnhaft in: Lomitz
Zur Schule gegangen in: Lüchow, Hamburg, Stendal
Ausbildung/Studiengang: Sport & Leistung an der Sporthochschule Köln

Hi Almuth, Sportplatz Gartow oder Stadion Wolfsburg?
Almuth Schult: Das kann man nicht vergleichen. Ich spiele noch unglaublich gern bei meinem alten Verein und kicke, wenn ich mal frei habe, wieder mit den Jungs. Das ist halt die Heimat und eine Erinnerung an die Kindheit. Ohne Erfolgsdruck und ich habe einfach Spaß. Auf der anderen Seite geht die Atmosphäre in einem vollen Stadion unter Leistungsdruck echt sehr unter die Haut – ich genieße beides.

Wie oft schaffst du es denn aktuell im Wendland zu sein?
Ich habe meinen Hauptwohnsitz im Landkreis. Ich bin sehr heimatverbunden, wohne in Lomitz und bin auch nach Möglichkeit den Hauptteil der Woche da – es sei denn, wir haben ein zweiwöchiges Trainingslager oder so.

Aber ihr habt doch regulär mindestens 3x die Woche Training oder nicht?
Wir haben jeden Tag Training! Es gibt halt Tage, an denen es sich nicht lohnt zu fahren. Wenn ich erst um 20 Uhr fertig bin und am nächsten Morgen um 9 Uhr das Haus verlassen muss zum Beispiel. Nur zum Schlafen fahre ich dann nicht ins Wendland. Dafür habe ich eine zweite Wohnung in der Nähe von Wolfsburg.

Also viel pendeln – und durch und durch Landkind?
Ja, total. Ich bin ein richtiger Wendländer. Ich habe die Gegend auch gerade durch die Zeit, die ich außerhalb verbracht habe, sehr schätzen und noch mehr lieben gelernt.

Okay, der Reihe nach: wann hast du mit Fußball angefangen?
Mit fünf Jahren, in Gartow.

Und bist über die Kreis-, Bezirks- und Landesauswahl „entdeckt“ worden?
Genau. In die U-13 der Kreisauswahl wurde ich schon mit acht eingeladen, auch weil sie keinen anderen weiblichen Torwart hatten. Mit zwölf habe ich in der Bezirksauswahl gespielt, von da weiter in die Landesauswahl. Und es gab immer Sichtungsturniere, darüber bin ich mit 15 in die U-15 Nationalmannschaft gekommen.

Früh übt sich...
Ich war immer schon sehr groß für mein Alter und hatte keine Angst vor dem Ball oder den großen Mitspielerinnen. Außerdem kann ich ziemlich stur im Kopf sein. Und ich habe drei ältere Geschwister, deswegen war ich es auch gewohnt, immer bei den Älteren dabei zu sein.

Damals bist du mit 16 zum Hamburger SV gewechselt.
Das ist eigentlich ein bisschen Zufall gewesen. Die HSV-Frauen waren öfter mal in Hitzacker im Trainingslager und haben da gegen eine Kreisauswahl gespielt bei der ich im Tor stand und recht gut gehalten habe. Nach dem Spiel wurde ich vom Trainer und dem Manager gefragt, ob ich nicht in die Frauenbundesliga wechseln möchte – und so war ich auf einmal als Ersatztorhüterin im Kader der ersten Mannschaft beim HSV. Klingt alles total toll und ich wollte es auch unbedingt machen, weil es einfach so eine Chance gewesen ist.

Aber?
Ich habe mich mit dem Trainer nicht so gut verstanden. Auch deswegen bin ich nach einem Jahr wieder gegangen. Außerdem war mein Tagesablauf plötzlich ein ganz anderer: Ich hatte keine Akademie oder ein Internat, habe alleine gewohnt und auch nicht viel Geld gehabt. Kein Fernsehen, kein Festnetztelefon, nicht mal Gardinen. Wenn ich ins Internet wollte bin ich mit dem Bus in die Schule gefahren und habe mich dort an den Rechner gesetzt. In dem Alter in eine neue Klasse zu kommen war auch nicht so einfach und wegen des Fußballs hatte ich viele Fehltage. Wenn du dann trotzdem noch relativ gute Noten schreibst, ist man sowieso raus.

Vom Wendland in die Millionenstadt – hat man da nicht erst einmal gehörig Schiss?
Ja, da ist schon eine andere Welt auf mich geprallt. Aber ich wollte das – und ich wollte das auch durchziehen. Deswegen habe ich auch nie gejammert. Mir war Fußball immer sehr wichtig und ich wollte ja weiterkommen. 

Wie ging es weiter?
Ich bin nach Magdeburg gewechselt, mit dem Verein direkt aufgestiegen und habe dann noch zwei Jahre 2. Liga gespielt. Weil ich nach wie vor in den U-Nationalmannschaften aktiv war, gab es auch immer Anfragen von höherklassigen Vereinen, aber die habe ich zu der Zeit abgelehnt. Ich spiele Fußball, weil ich auf dem Platz stehen will – nur auf der Bank zu sitzen bringt mir nichts.

Verständlich. Wann kam dann der Sprung zurück zu den Profis?
Die erste Einladung zur A-Nationalmannschaft nach unserer erfolgreichen U-20 WM hat mir gezeigt, dass ich jetzt nochmal die Chance habe, den Schritt zu machen. Ich bin nach Bad Neuenahr gewechselt, war dort Stammtorhüterin in der 1. Liga und nach zwei Jahren kam der nächste Schritt zum großen Verein. Jetzt bin ich beim VFL und habe mich durchgesetzt. Das hätte ich mit 16 vielleicht nicht geglaubt, aber manchmal ist halt ein Schritt zurück sehr gut. Das habe ich gelernt und das nehme ich auch immer für mich mit – im Training und für alles andere.

Also im Rückblick kein Bedauern?
Nein. Ich war ja nie planlos, sondern habe immer überlegt, wie ich was mache. Genau so war es richtig. Es hat mich geprägt und es ist sehr lehrreich gewesen. Ich habe dadurch gut gelernt auch mit wenig Geld auszukommen und dass es sehr wichtig ist, seine eigenen Erfahrungen zu machen.

Bad Neuenahr liegt im Rheinland, jetzt kickst du wieder in Niedersachsen. Welche Rolle hat die Nähe zur Heimat bei deinen Wechseln gespielt?
Eine große – Wolfsburg war ganz klar auch eine Heimatentscheidung. Weil ich wusste, ich kann jeden Tag nach Hause fahren, wenn ich das möchte und brauche. Denn mir hat die Familie schon sehr gefehlt. Aber mir war genauso wichtig, dass es ein Top-Club ist – aktuell die Adresse im deutschen Frauenfußball. Ich bin sehr froh, dass ich das miteinander vereinbaren kann.

Hat sich das Wendland aus deiner Sicht seit damals verändert?
Klar, es gibt immer Veränderungen. Aber irgendwie ist das Wendland schon sehr beständig finde ich. Und es gibt Ereignisse, da sind alle wieder da: ob der Kartoffel-Sonntag, der Weihnachtsball oder der Kreisfeuerwehrtag. Selbst Leute, die man aus der Schule kennt und zehn Jahre nicht mehr gesehen hat, kommen auf einen zu: „Ach, Hey, Moin!“ und „Wie geht’s n dir?“ und „Was ist denn aus dir geworden?“ – man hat immer etwas zu erzählen. Es ist schön, dass es so feste Zeiten gibt. Es ist immer eine Herzlichkeit da, eine Bodenständigkeit. Dafür liebe ich das Wendland. 

Hast du noch viel Kontakt zu deinen Leuten von früher?
Auf jeden Fall! Vor allem mit meiner Fußballtruppe von damals. Viele sind aktuell in der Herrenmannschaft in Gartow, beispielsweise mein Bruder. Auch mein Freund ist da involviert, dadurch sehe ich die immer wieder. Aber auch zu anderen aus den Nachbardörfern, oder überhaupt zur Familie. Wenn ich mal einlade, dann sind wir so um die 100 Leute – es ist toll, ich liebe das. Ich kann die ein halbes Jahr nicht gesehen haben, steige spontan auf mein Motorrad und fahre zum Beispiel nach Klein Heide zu meinem Patenonkel und wir trinken Tee und erzählen einfach. Das ist eben auch Wendland.

Dann ist es dir hier nicht manchmal zu öde?
Nein, eigentlich gibt es keine Langeweile, irgendetwas ist immer zu tun. Oder du gehst einfach spazieren, klopfst bei Freunden an die Tür – wenn du überhaupt klopfst und nicht einfach in die Küche reingehst – und bist eigentlich immer Willkommen. Ich kann auch immer wieder Leute von außerhalb für die Region begeistern. Die stellen dann fest, dass Dorfleben doch gar nicht so langweilig ist, wie sie dachten. Und kommen gerne wieder. Oder fragen später, wann bei uns im Dorf denn mal wieder Schützenfest ist.

Und über Rumpelstraßen juckeln, ewig auf den Bus warten – stört dich alles nicht?
Wenn man will, findet man immer was zu meckern. Und es ist ja auch nur teilweise richtig. Aber bessere Straßen, schneller öffentlicher Nahverkehr – das brauche ich alles gar nicht, ich finde dieses Entschleunigte schön. Dann organisiert man sich eben anders. Du sprichst dich ab, einer ist Fahrer und du musst dir überlegen, was du einkaufen musst, weil du eben nicht jeden Tag losgehen kannst. Das stört mich nicht, vielleicht auch weil ich damit aufgewachsen bin.

Dann vermisst du hier gar nichts?
Hm. Ich finde es schade, dass immer mehr Läden schließen. Weil ich niemand bin, der oft im Internet einkauft. Wenn doch mal, dann habe ich das Passende vorher wirklich nicht vor Ort gefunden. Aber ansonsten gehe ich ins Geschäft und nehme mir die Beratung. Weil ich sie mag, weil ich es liebe, wenn man die Verkäufer kennt und weil man weiß, die verarschen einen nicht, wollen dir nicht einfach nur etwas verkaufen.

Ja, stimmt, das kann im Internet gern auch mal anders sein.
Genau. Das einzige, das mich vielleicht wirklich stört, ist, dass das Internet bei uns zu Hause echt schlecht ist. Mein Freund ist in der IT-Branche tätig und wenn es mal ein Problem gibt, muss er oft in die Firma fahren und kann es nicht von zu Hause regeln. Aber das wird mit dem Breitbandausbau ja hoffentlich bald anders. Und auch keinen Handyempfang zu haben finde ich nicht schlimm. Ich mag es, wenn mein Handy einfach mal tot ist. Ich unterhalte mich viel lieber persönlich. Deswegen bin ich auch bei Social Media völlig raus.

Aber du musst doch penibel an deiner Bekanntheit feilen und fleißig influencen!
(grinst) Das sagen die anderen auch manchmal, ja: „Damit kannst du Werbung machen und Geld verdienen!“ Aber ich muss keine 50.000 Follower haben.

Weil?
Ich nicht einfach für irgendwelche Produkte Werbung machen will, die blöd sind. Und ich will nicht 50.000 Leute haben, die sich tagtäglich angucken, was ich in meiner Freizeit treibe. Ich finde gut, dass unser Verein und die Nationalmannschaft da aktiv sind – da bin ich dann auch gern dabei. Aber ich benutze das nicht, um mich darzustellen. Ich bin so wie ich bin und will mich nicht verstellen.

Wie gehst du damit um, dass du mittlerweile eine „berühmte Person“ bist?
Naja, das hält sich ja noch in Grenzen. Ich will zum Beispiel nicht mit Manuel Neuer tauschen, überall erkannt werden und die ganze Zeit Fotos machen müssen. Das ist auch das Schöne im Wendland: Ich kann unterwegs sein und habe hier meine Privatsphäre. Vielen Bundesligaspielern ist das nicht vergönnt, weswegen sie vielleicht eher in so einer Art Scheinwelt leben.

Olli Kahn zitiert gern den „unfassbaren Druck“, der im Profifußball herrscht – spürst du den auch?
Wenn du als Fußballer einen Vertrag unterschreibst, weißt du, was auf dich zukommt. Also braucht auch keiner zu jammern. Dann weiß ich, es können 50.000 Leute im Stadion sein und die werden buhen, wenn ich daneben greife. Das ist mein Berufsrisiko. Aber das habe ich genauso, wenn ich in der Bank arbeite und durch meinen Fehler ein Großkunde abspringt. Dann kommt mein Chef und ich kriege eine gesalzene Ansage. Wenn ich keinen Spaß daran hätte mich mit den Besten zu messen, dann würde ich es nicht machen. Von daher beschwere ich mich nicht. Ich bin völlig glücklich damit, freue mich irgendwann aber auch auf die Zeit nach dem Fußball.

Du hast – wie viele andere weibliche Profis und anders als die meisten männlichen Fußballer – nebenbei studiert. Weißt du schon, was du nach deinem Karriereende machen willst?
Es ist immer gut, wenn man sich auf die Zukunft vorbereitet und ich habe auch schon etwas vorgesorgt, aber genau planbar ist es nicht. Ich möchte dem Sport eigentlich schon erhalten bleiben, zum Beispiel in die Trainersparte rutschen. Das kann aber genauso schneller vorbei sein, als man denkt. Ich habe auch schon als Personaltrainer gearbeitet, das würde mir auch sehr viel Spaß machen. Vielleicht könnte man damit sogar im Landkreis arbeiten – das würde ich unglaublich gerne. Oder ich könnte mir vorstellen, umzuschulen und Lehrer zu werden, doch da hat man als Leistungssportler immer das Problem der fehlenden Berufserfahrung.

Viele männliche Profis bleiben in anderer Funktion in ihren Vereinen, arbeiten mit Sponsoren oder gehen zum Beispiel zum Fernsehen.
Ja, man kann halt Glück haben und deine Kompetenz als Leistungssportler wird geschätzt. Aber ich kann mir genauso gut vorstellen bei meinem Nachbarn, der Zimmermeister ist, eine Ausbildung anzufangen oder bei meiner Schwester auf dem Bauernhof zu helfen. Ich bin damit groß geworden, dass man immer mit anpackt – und bin gespannt, was das Leben so für ein Türchen öffnet.

Ist ja auch noch ein wenig hin, bis es soweit ist.
Genau, ich habe jetzt erst einmal einen Vertrag bis 2022. Dann bin ich 31 und dann schauen wir mal, was kommt – als Frau muss man sich ja auch Gedanken über die Familienplanung machen. Das ist bei den männlichen Spielern ein bisschen einfacher: Ich habe halt keinen Partner, der mein Kind austrägt. Und du weißt natürlich nicht, wie sich die Schwangerschaft auf deinen Körper auswirkt, ob du danach wieder so leistungsfähig bist wie vorher. An so einer Entscheidung hängt viel. Ich habe aber keine Angst davor und freue mich auf meine Kinder – aber gerade jetzt? Noch nicht.

Die würden dann wo zur Schule gehen?
Wenn irgendwie möglich, auf jeden Fall hier im Wendland.

Das Gespräch führte:  Arne Schrader

 

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