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Nina H. Neelsen – „Sehr lange nach einem Zuhause auf dem Land gesucht“

Nina H. Neelsen – „Sehr lange nach einem Zuhause auf dem Land gesucht“

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Nina H. Neelsen (52) ist seit Februar 2021 die neue Geschäftsstellenleitung der Wirtschaftsförderung Lüchow-Dannenberg. Ein Gespräch über Ziele in ihrem neuen Job, über ihren beruflichen Hintergrund, über Passionen und was ihr wichtig ist – und warum es sie nach diversen Lebensstationen in dreizehn Ländern ausgerechnet ins Wendland verschlagen hat.

DATEN

Name: Nina H. Neelsen
Alter: 52
Berufsbezeichnung/Job: Geschäftsstellenleitung
Firma: Wirtschaftsförderung Lüchow-Dannenberg / Süderelbe AG
Im Wendland seit: Mai 2020
Aufgewachsen in: Berlin, Ibiza, Belgrad (ehem. Jugoslawien), Schweiz, Cambridge (USA)
Wohnhaft in: Külitz, Gemeinde Schnega
Zur Schule gegangen in: Spanien, Deutschland, ehem. Jugoslawien, Schweiz, USA
Ausbildung/Studiengang: Internationale Beziehungen (VWL, Politologie, Geschichte) Tufts University Boston, USA. Executive Master of Business Admin, Kellogg Graduate School of Management Evanston, Illionois/WHU-Otto Beisheim School of Management, Vallendar. Politologie FU Berlin (Gast-Semester), Geschichte & Politologie, Wesleyan University Paris (Gast-Semester)

 

Hi Nina, wie lange hast du heute Morgen zur Arbeit gebraucht?
Nina H. Neelsen:
35 Minuten. Aber weil ich langsam fahre und die Natur genieße!

Seit diesem Februar hast du die Geschäftsstellenleitung der Wirtschaftsförderung in Lüchow-Dannenberg übernommen. Wie wirkt sich die Covid-19 Pandemie bei deinem Start in den neuen Job aus?
Nina: Das Team im Alten Postamt geht sehr gut damit um: Wer im Homeoffice sein möchte, darf dies, wer im Büro ist, hält Abstand, trägt Maske. Meine Tochter leidet wohl am meisten am Home-Schooling und dem vielen Alleinsein. Da habe ich natürlich ein schlechtes Gewissen, weiß sie aber gut betreut bei unserer tollen Leih-Oma im Dorf und beschäftigt mit unseren Tieren: drei Pferde, sechs Hühner, ein Hahn, eine Katze!

Fast ein kleiner Zoo – und mit ein Grund, warum du ausgerechnet im Wendland gelandet bist?
Nina: Genau. Ich habe sehr lange nach einem Zuhause auf dem Land gesucht – und bin dabei auf eure Webseite gestoßen. Am Ende konnte nur das Wendland meine Kriterien erfüllen: Unzersiedelte Naturflächen, langes Ausreiten ohne Autobahnrauschen, lebendige Landwirtschaft. Kultur und Kunst, Andersdenkende und Freigeist, außerdem Raum zum Gestalten im Kleinen und Großen. Und eine Nähe zu Berlin, damit meine Tochter zu ihren Kita- und Schulfreunden gut Kontakt halten kann. Aber weit genug weg, um dem Berliner Klüngel zu entkommen.

Gibt es etwas, dass dir an der Region besonders gefällt?
Nina: Auf jeden Fall die gelebte Dorftradition und das Integrieren von Zugezogenen. Dann die Natur und die Architektur der Wendlandhöfe, die einmaligen Rundlingsdörfer und Fachwerkstädtchen. Und auch die manchmal etwas mundkargen Wendländer, die das Herz am rechten Fleck haben.

Und was hat dich an deinem neuen Job besonders gereizt?
Nina:
Ich bin hierhergezogen, um Heimat zu finden und weil das Wendland mir eben bestimmte Dinge bietet, die nicht mehr selbstverständlich sind. Damit das so bleibt, möchte ich aktiv einen Beitrag leisten und mitwirken. Indem ich mich dafür einsetze innovative, sozial und ökologisch bewusste und versierte Unternehmen hier anzusiedeln und, gerade in den aktuellen Zeiten des Strukturwandels, den Bestandsunternehmen unterstützend zur Seite stehe: Impulse setzen für neue Wege, ohne das Traditionelle zu missachten oder gar zu zerstören.

Auf welche Themen möchtest du im Rahmen deiner Arbeit einen besonderen Fokus legen?
Nina:
Auf Kollaboration von Wirtschaft und Verwaltung zur Sicherung von Lebens-, Natur- und Wirtschaftsräumen, um den auch durch Corona beschleunigten Strukturwandel als Chance für ländliche Regionen wie unseren Landkreis zu nutzen. Außerdem auf den Erhalt der hiesigen Lebensqualität und Sicherung der wirtschaftlichen Resilienz, unter anderem durch die Stärkung des sozialen Unternehmertums.

Kannst du uns kurz etwas zu deinem beruflichen Hintergrund erzählen?
Nina:
Meinen Einstieg in die Beratung fand ich bei Price Waterhouse 1990 in Berlin, dann folgte ein Ausflug in die Gewerbliche Immobilienentwicklung, bis ich 1996 in die Selbständigkeit geriet. 24 Jahre als selbständige Unternehmensberaterin, dazu in dreizehn Ländern gelebt und gearbeitet und noch mehr Branchen von innen erlebt – da gibt es wenig, was mich überrascht. Ich war stets in der glücklichen Situation, mir meine Projekte mehr oder weniger aussuchen zu können, denn ich habe ausschließlich auf Empfehlung von Vorständen, Geschäftsführern oder Aufsichtsräten meine Kunden akquiriert und konnte mich auf das Veränderungs- und Krisenmanagement fokussieren.

Was genau waren deine Aufgaben in den einzelnen Stationen?
Nina: Man rief mich eigentlich erst, wenn es fast schon zu spät war: Wenn große Veränderungen bevorstanden, wenn schnelles Wachstum zu Qualitätseinbrüchen führte, wenn Prozesse nicht die gewünschte Effizienz erzielten, Komplexität reduziert oder das Umfeld nach interner Transformation drängte und Strukturen umgewälzt werden sollten, ohne das Unternehmen dabei aus der Bahn zu werfen. Grundsätzlich geht es dabei stets darum, Ursachen klar zu identifizieren statt Symptome zu behandeln. Denn das führt langfristig nicht zu stabilen, lukrativen Unternehmen und zufriedenen Mitarbeitern.

Klingt nach vielfältigen Aufgaben und intensiven Erlebnissen.
Nina: Das stimmt. Ich konnte tiefe Einblicke in operative und strategische Problemstellungen unterschiedlichster Branchen erhalten – von der Schwerindustrie über Banking, Mobile Telekommunikation bis hin zu digitalen Start-Ups. Meine Jahre in den neuen Bundesländern direkt nach der Wende sowie die Zeit Mitte der 90er in Tschechien und Polen befassten sich unter anderem mit kommunalen Gewerbeimmobilien, Verwertung von Industriebrachen und Corporate Real Estate. Für das Auswärtige Amt habe ich als externe Expertin deutsches, ziviles und militärisches Personal in Friedenseinsätzen im europäischen Ausland betreut. Und meine große Passion nebenbei ist die Natur: Ich setze mich seit je her für Umwelt und Artenschutz ein, bin ausgebildete Wildhüterin Südafrikas, Naturpädagogin und Coach für Persönlichkeitsentwicklung mit Pferden und Reiki-Praktikerin an Mensch und Tier.

Ganz schön vielseitig – und inwiefern helfen dir diese Erfahrungen bei den neuen Aufgaben?
Nina:
Ich kann mich dadurch recht gut in unterschiedlichste Rollen und Positionen versetzen, verfüge über gute Menschenkenntnisse und bin krisenerprobt. Dazu habe ich ein recht umfangreiches Wissen über diverse Themen, bin anpassungsfähig und kann Menschen gut motivieren und begeistern. Ich lege insgesamt viel Wert auf gute Analytik und nachhaltige Umsetzung – aber versuche dabei nie den Menschen oder das Lebewesen außer Acht zu lassen, denn nur darum geht es schließlich unter dem Strich.

Was hast du für dich persönlich dabei mitgenommen?
Nina:
Für mich gilt noch ein Handschlag, Anstand und Vertrauen. Ich nehme Menschen egal auf welchen Hierarchie-Ebenen ernst und erwarte das auch von meinem Gegenüber. Ich versuche vorbehaltslos in Situationen und auf Menschen zuzugehen und präferiere ganzheitliche Vorgehensweisen. Und als so lange selbständig Tätige verstehe ich die Anliegen und Themen von Unternehmen, auch mein Vater ist Unternehmer und hat mir eine bestimmte Denkweise quasi mit in die Wiege gelegt. Als alleinerziehende Mutter weiß ich zudem, was es heißt, heutzutage allen Anforderungen gerecht werden zu müssen – und auch, Existenzängste zu haben.

So viele Stationen, so viele Länder, in denen du schon gewesen bist – wie kommt’s?
Nina:
Mein Stiefvater war amerikanischer Berufs-Diplomat, deshalb bin ich in meiner Kindheit viel herumgekommen. Später hat es mich beruflich immer dahin gezogen, wo Pioniergeist herrschte, wo Strukturen nicht festgefahren waren sondern Raum zum Gestalten bestand. Das hat sich in meiner beruflichen Ausrichtung und meinen Interessen niedergeschlagen – und ganz sicherlich auch in meiner Wahlheimat, dem Wendland.

Hast du Lust auf ein Kreuzfeuer?
Nina: ein Kreuzfeuer?

Wir nennen einen Ort an dem du gelebt hast, du deine ersten Assoziationen.
Nina: ah, ja sehr gern!

Berlin?
Geburtsstadt. Und Hassliebe.

Belgrad?
Wunderbare Kindheitsstation, als Stieftochter des US-Botschafters privilegiert, aber dennoch nah dran am kulturellen Leben und der herzlichen Gastfreundschaft der Jugoslawen.

Ibiza?
Eingeschult Anfang der 70er Jahre, klassische katholische Schule mit Schuluniform. Duft von Pinien und Rosmarin. Damals noch sehr ursprünglich.

Schweiz?
Internatszeit, zweite Heimat, beste Freunde, Ski fahren. 

Boston?
Konservativ, schön, unfrei, Vorurteile. 

Paris?
Traumstadt

Prag?
Damals schwierige Arbeitskultur, gerade für eine junge Frau in einer Führungsposition. Aber tolle Stadt und Leute.

Warschau?
Professionell und grau.

Südafrika?
Der Busch ist meine Auster.

Sarajevo?
Geschichtsträchtig, Symbol für Kampf der Kulturen, Kriegstraumata.

Amsterdam?
Traumstadt und Wohlstand.

Dubai?
Disneyland für Erwachsene

Bali?
Das beste Beispiel für Gemeinwohlkultur und Freundlichkeit. Und wie Massentourismus, Materialismus und Gier diese zerstören.

Und jetzt Külitz, im Wendland!
Meine Ponderosa. Angekommen.

Vielen Dank für das Intermezzo – wo wir gerade bei Külitz sind: was ist deine Zukunftsvision für unsere Region und den Landkreis insgesamt?
Nina:
Um einfach mal ein paar Schlagworte zu nennen: Mobilität 4.0, Logistik auf Schienen (und nicht auf Asphalt), Stärkung der ländlichen Grundversorgung von Bildung über Nahrungsmittel, Post und medizinische Einrichtungen, ein Fokus auf Klein- und Mittelständische Unternehmen, auf Bürgerintiativen gegen Dorfsterben wie es bei uns in der Gemeinde gerade erfolgreich umgesetzt wurde und auf ländliche, grüne Touristik und kreislaufwirtschaftsorientierte Produktion.

Und worauf freust du dich nach Feierabend am allermeisten?
Nina:
Auf meinen alten Hof mit unverbautem Blick, meine Tochter, meine Tiere, meinen Gemüsegarten, mein Dorf – und das Landleben an und für sich!

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